lunatiks produktion
Pressestimmen "Statisten des Skandals"


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Statisten des Skandals - Ein Chorprojekt zur Barschel-Pfeiffer-Affäre

"Die politische Karriere Uwe Barschels hat viele Rätsel und Wunden hinterlassen. Die wirklichen Hintergründe seines Todes in einem Genfer Hotelzimmer vor mehr als zwanzig Jahren werden vermutlich nie mehr aufzuklären sein. Die Szenen, die von dieser Affäre im kollektiven Gedächtnis der deutschen Öffentlichkeit zurückgeblieben sind - vor allem jene der so genannten »Ehrenwort-Pressekonferenz« - haben mit den Jahrzehnten eine beinahe emblematische Qualität gewonnen: Sie markieren, von heute aus gesehen, den Anfang vom Ende der alten Bundesrepublik, die dann zwei Jahre später unverhofft mit der Realität der Wiedervereinigung konfrontiert wurde.
Die Ausgangslage für eine theatralische Aufarbeitung der Umstände dieses folgenreichen Politskandals, wie sie das Berliner Produktionskollektiv »lunatiks produktion« nun mit der Uraufführung ihres Stückes »Statisten des Skandals« am Schauspielhaus Kiel präsentierte, war von daher keine ganz einfache - eine naturalistische Dramatisierung dieses Stoffes wäre redundant gewesen, eine symbolische Überhöhung zur Tragödie hätte sich allzuleicht der Lächerlichkeit preisgegeben.
Die grundsätzlich andere Arbeitsweise von »lunatiks produktion« wies jedoch einen alternativen Weg: Ausgehend von zahlreichen Interviews mit jenen Betroffenen des Skandals, die damals eher am Rande des Geschehens standen, deren Existenz aber dennoch davon im Kern erschüttert wurde, schrieb Tobias Rausch als verantwortlicher Regisseur den Text des Stückes. Durch diesen scheinbaren Umweg über die »Nebensachen«, wie es der kluge Peter Handke einmal formuliert hat, gelang es aber, aus mehreren einzelnen, im öffentlichen Diskurs bisher weitgehend nicht berücksichtigten Perspektiven heraus, ein anderes Bild des Geschehenen zu schaffen.
Jeder der vier Schauspieler auf der Bühne, die von einem das Stück durch Choralfragmente gliedernden Chor flankiert wurden, spielte mehrere dieser scheinbar randständigen Figuren: Barschels Sekretärin in der Staatskanzlei, die Maskenbildnerin beim NDR, die Barschel vor jener legendären Pressekonferenz schminkte, die persönlichen Fahrer Barschels, die ihren Chef durch einen falschen Meineid deckten, ehemalige Studienfreunde Barschels, die ihn jenseits der medialen Öffentlichkeit kannten.
Prinzip dieser Produktion war, all diesen Figuren ein Gesicht zu geben, ihnen auf der Bühne die Möglichkeit zu geben, jene Szenen, die sie damals geprägt haben, nochmals durchzuspielen, ihre damaligen und heutigen Standpunkte, Verirrungen und Verletzungen deutlich zu machen - ohne dass durch solch eine Szenenfolge irgendetwas erklärt oder revidiert werden sollte. Und es war vor allem Jennifer Böhm, Eva Krautwig, Gerrit Frers und Stefan W. Wang, den vier hervorragenden Hauptdarstellern aus dem Ensemble des Kieler Schauspielhauses zu verdanken, dass einem dieser thematisch recht finstere Reigen zeitweilig immer auch als eine unheimlich komische Farce vorkam, über die in einigen Szenen dankenswerterweise auch gut zu lachen war. Ein vom Text her einkalkuliertes Lachen sicherlich, das jedoch in keinem Fall denunziatorisch geriet. Eher war es so, dass sich zeigte, wie sehr ein solches Lachen über all das Groteske einer solchen politischen Katastrophe wie im Fall Barschel nach wie vor, bei aller zeitlicher Distanz, notwendig und hilfreich ist."
(die tageszeitung, 21.04.2009)


"(...) Rausch will in der jetzt in Kiel entstandenen Arbeit vor allem der Frage nachgehen, wie die Beteiligten, scheinbare Randfiguren des Politdramas, die Barschel-Affäre durchlebt haben. Als Vorbereitung haben Regisseur und sein Team mit diesen »Statisten des Skandals« lange Interviews geführt. Und aus ihnen den Text für ihr Stück gestaltet. So kommen diese Zeugen durch die Darsteller quasi selbst zu Wort und erzählen ihre Sicht des Geschehens.
Uwe Barschels Fahrer berichtet (sehr intensiv: Stefan W. Wang) fast weinend von den langen Verhören im Untersuchungsausschuss des Landtags. Und der Stern-Reporter (Gerrit Frers) schildert, augenscheinlich noch immer geschockt, von seinem Fund der Leiche Barschels in der Badewanne. Dabei werden die einzelnen Berichte collagenhaft aneinandergereiht. Dankenswerterweise folgen die einzelnen Szenen der chronologischen Reihenfolge des Skandals, so dass man als Zuschauer nicht den Überblick verliert.
Dabei arbeiten die Darsteller aus dem Ensemble des Kieler Schauspielhauses an einigen Stellen die ganze Tragik der einzelnen Berichte heraus, die ohne ihre Schuld in die Affäre hineingezogen wurden. Und vor der Presse und vor Untersuchungsbehörden die Nerven verlieren.
Regisseur Tobias Rausch will die Barschel-Affäre aber nicht nur als Drama, sondern als Tragikomödie darstellen, grotesk und absurd. So schwebt zum Beispiel Uwe Barschel (Stefan W. Wang) über die Bühne zu leisen Musikklängen, seinen Traum vom Fliegen auslebend. Oder die »Elefantenrunde« aus den Parteivorsitzenden kommentiert augenrollend den Ausgang der schleswig-holsteinischen Landtagswahl 1987. Selbst die damals Beteiligten könnten heute manchmal über diese Zeit lachen, wenn auch mit bitterem Unterton, so der Regisseur. Doch bevor das Stück ganz in die Komik abgleitet, folgen glücklicherweise auch wieder stille, sehr intensive Szenen. Ein Hintergrundchor gibt dem Ganzen formale Anleihen einer griechischen Tragödie.
Alles in allem ein sehr unterhaltsames Stück. Vergangenheitsbewältigung. Das nie langweilig wird und bisher noch unbekannte Facetten der Barschel-Affäre zu Tage fördert, weil die scheinbar unbedeutenden Randfiguren aus ihrer Sicht Geschichte nacherzählen und klar machen, mit welchen Gefühlen man als unfreiwillig Beteiligter in einem Politskandal zu kämpfen hat."
(Jens Wellhöner auf nachtkritik.de, 20.04.2009)


"Der Chauffeur von Uwe Barschel zerwühlt nachts sein Bett, ihn quälen Gewissensbisse wegen einer falschen eidesstattlichen Versicherung. Die Sekretärin von Reiner Pfeiffer erleidet nach zahllosen Verhören, Vernehmungen und Zeugenaussagen ein Aneurysma. So ergeht es zwei der Randfiguren einer der großen politischen Affären in der Geschichte der Bundesrepublik. Tobias Rausch, Regisseur der Berliner Theatertruppe »lunatiks produktion«, nennt sie »Statisten des Skandals« und widmet ihnen eine gleichnamige Textmontage, die jetzt, mehr als zwei Jahrzehnte nach den Ereignissen, nicht weit vom Ort des Geschehens, im Studio des Kieler Schauspielhauses, unter großem Beifall uraufgeführt wurde.
Eiferer beider politischer Lager können ihre Messer getrost in der Tasche lassen: Die Aufführung nimmt nicht erneut Stellung zu der Frage, ob Uwe Barschel, bis 1987 Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein, als Täter oder Opfer in die Geschichte der nach ihm benannten Affäre eingeht. Im Schauspiel wird kein neues Investigations- oder Aufklärungsstück vorgeführt, vielmehr konzentrieren sich die Recherchen auf die Erlebnisse und Erinnerungen von Personen, die damals nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit standen, die nicht selbst aktiv handelten, sondern, vielfach ohne eigenes Zutun, in den Strudel der Geschehnisse gezogen wurden. In der Vorbereitungsphase der Produktion wurden in 39 Interviews sehr individuelle Eindrücke gesammelt, Spuren der Geschichte in ganz persönlichen Biografien.
Vorgetragen werden die Ergebnisse dieser Befragungen jedoch in einer Art öffentlichem Raum. Ausstatterin Katja Reetz hat auf die Studiobühne eine wie ein Fragezeichen gebogene hüfthohe Schranke gebaut, die kleine Türen hat und die Spielfläche in Drinnen und Draußen unterteilt. Dahinter erhebt sich eine Wand, über die von Zeit zu Zeit Mitglieder des Schulenseer Thomaschores blicken. Zu diesem fast zeremoniell anmutenden Arrangement passt es, dass die vier Schauspieler des Kieler Ensembles - Jennifer Böhm, Eva Krautwig, Gerrit Frers und Stefan W. Wang - mit einer gezirkelten Künstlichkeit agieren. Sie suchen nicht die Ähnlichkeit mit den dargestellten Figuren; statt auf dokumentarische Genauigkeit richten sie Spiel auf exemplarische Wirkung.
Anders als bei früheren Produktionen der »lunatiks«, die gern mit Betroffenen oder an Originalschauplätzen arbeiten, hat Regisseur Tobias Rausch das Material seiner Recherchen sauber gefiltert. Die Ausführung der Texte lässt nicht erkennen, wie viel vom O-Ton der Interview-Partner geblieben ist, in welchem Maße die Darstellertruppe mitgestaltet oder der schreibende Regisseur eingegriffen hat.
Szenisch hat Tobias Rausch den Textvortrag vielfältig gegliedert: Er vermeidet sowohl trockene Deklamation als auch Betroffenheitspathos und setzt auf bewegtes Spiel, lässt groteske Momente und sogar Komik zu. Eine tiefere Dimension erreicht die Aufführung durch die Mitwirkung des Thomaschores aus Schulensee (Leitung: Sabine Seifert): Er kommentiert das gesprochene Wort mit Teilen aus Bach-Kantaten, die von Matthias Herrmann zu einer markanten Bühnenmusik bearbeitet wurden. Nach klassischem Vorbild erklingen auf diese Weise Widerspruch, Strenge, Mahnung, Andacht. So nimmt die theatralische Lektion nach 80 Minuten doch noch Stellung: Eine Schuld Barschels sei juristisch nicht nachweisbar, heißt es im Sinne des 2. Untersuchungsausschusses: »Die Frage der politisch-moralischen Verantwortung bleibt bestehen.«"
(Kieler Nachrichten, 21.04.2009)


"Mord oder Selbstmord, das ist immer noch die offene Frage, wenn es um den Tod von Uwe Barschel geht. Auf großes Interesse stieß daher von vornherein die Berliner "lunatis produktion" mit ihrem Projekt, die Barschel-Affäre aus einer neuen, ungewöhnlichen Perspektive darzustellen. Nicht die Protagonisten Barschel, Pfeiffer und Engholm kommen zu Wort, sondern, wie der Titel »Statisten des Skandals« besagt, Nebenfiguren und Zeitzeugen. Ausgewählt wurden beispielsweise ein Förster, eine Rundfunkjournalistin, ein Privatdetektiv und eine Maskenbildnerin. Aus dem Rohstoff von Interviews, Archivstudien und anderen Recherchen ist aber kein Dokumentarstück geworden, sondern eine kurzweilige Montage biographischer Fragmente. Bei den unfreiwillig Beteiligten werden beträchtliche Kollateralschäden aufgedeckt. Nicht nur bei Barschels Sekretärin haben die vielen Vernehmungen bis heute ihre Spuren hinterlassen.
In der Kieler Uraufführung wird daraus trotzdem beileibe keine nur ernste Angelegenheit, sondern ein oft verspielter Umgang mit dem Material. Es darf gelacht werden. Jennifer Böhm, Eva Krautwig, Gerrit Freers und Stefan W. Wang teilen sich die Aufgaben, springen hinter oder vor einer halbmeterhohen Trennwand mit Klapptüren von einer Rolle in die andere, tänzeln auch mal zu viert wie Revuegirls in einer Reihe, machen flottes politisches Kabarett, bei dem dennoch einiges für Barschels Charakterbild abfällt. Beispielsweise sein maßloser Ehrgeiz, Bundeskanzler werden zu wollen. Theatergerechte Verfremdungen verfehlen ihre Wirkung nicht. Da tauschen Barschels Fahrer mit dem Kopf nach unten hängend ihre Erfahrungen aus, und da werden seine Sekretärin und ihr Sohn zum Spiegeleffekt doppelt auf die Bühne gestellt.
Choräle und andere erbauliche Strophen, hier vom Chor der Gemeinde Schulensee vorgetragen, besingen ähnlich wie in antiken Tragödien religiöse und moralische Werte. Doch die Verse "Treu und Wahrheit sei der Grund / Aller deiner Sinnen" klingen wie pure Ironie im kriminellen Umfeld der Barschel-Affäre. Gegen Ende kommt angesichts der Gewissensbisse eines Fahrers, der Barschel zuliebe einen Meineid geschworen hat, doch noch Mitgefühl auf. Nach 80 fesselnden Minuten wurden Textautor und Regisseur Tobias Rausch und seine Mitstreiter stürmisch gefeiert."
(Schleswig-Holsteinische Landeszeitung, 21.04.2009)