lunatiks produktion
Pressestimmen "performing crime"


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performing crime / bremen

"Verbrechen aufführen ... ausführen? ... spielen? Ganz mühelos lässt sich performing crime, der englischsprachige Titel des Archivs des Verbrechens nicht ins Deutsche übertragen. Performanz führt etwas Tradiertes auf und zeugt mit dem Akt Realität. Wie das funktioniert, wenn es sich bei dem Akt um ein Verbrechen handelt, das haben unter anderem Studierende der Hochschule für Künste und der Universität gemeinsam mit dem Berliner Ensemble »lunatiks produktion« versucht herauszufinden.
In einem Raum hängen paarweise Fotographien: ein Auto vor und nach der illegalen Waschung, eine Hecke vor und nach dem genehmigungspflichtigen Schnitt und eine Wand vor und nach einer unerlaubten Weiß-Bemalung. Zunächst lenkt performing crime das Auge aufs gewöhnliche und oft unbemerkte Verbrechen, auf Dinge, die man als gutes Bürgerrecht empfinden könnte.
Verbrechen erfahren nicht nur in den Medien eine Ästhetisierung, die ihren sozialen Gehalt oft überlagert. Wer sich als Krimineller imaginiert oder wirklich agiert, tut das offenbar unweigerlich in Hinsicht auf (popkulturelle) Vorbilder. Doch wo dieser Bezug notwendig erscheint, da ist Reflexion des Mediums geboten. Und wo das geschieht, ist performing crime am stärksten. (...) um Überwachung und digitale Archivierung geht es in »Everybody«, der Installation einer Kamera, die lautlos jeden knipst, der den Raum betritt. Zwei Stockwerke höher werden die Bilder in Serie von einem anderen Apparat ausgespuckt. Der Fotographierte wird vom Objekt zum Subjekt, falls er seine Bilder aufstöbert und so den selbsttätigen Mechanismus beobachtet. Dieses vereinzelte lose Ende funktoniert als Symbol für mediale Zerrbilder von Kriminalität generell. Performing crime liefert hier zwar keine pauschale Abhilfe, aber durch die schnitzeljagdähnliche Routen-Verknüpfung der Ausstellungsteile stellen sich Assoziationen zwischen zwei Straftaten automatisch ein. Auch spektakuläre Bremer Fälle wie der des Guantánamo-Häftlings Murat Kurnaz oder des toten Kevin werden dokumentiert, pietätvoll auf Schautafeln und durch öffentlich gemachte Akten. Künstlerischer wird der Tod von Laye Condé behandelt, der Anfang 2005 in Polizeigewahrsam durch Einsatz von Brechmitteln ums Leben kam. Wie eine Zelle ist der Raum eingerichtet, der durch Tonspuren und ein Schauspiel sparsamer Gesten noch klaustrophobischer wirkt.
Performing crime wurde bis vor einer Woche noch von der Bremer Kriminalpolizei unterstützt, bis die Staatsanwaltschaft die Notbremse zog und jede weitere Mitarbeit verweigerte, mit dem Hinweis auf laufende Verfahren, die Gegenstand der Ausstellung sind, sowie auf die Gefahr der Verbrechens-Glorifizierung. Ob auch das ein performativer Sprechakt ist - frei nach Judith Butler: »Werde eine Gefahr«?"
(Kurier am Sonntag, 13.07.2008)

"In einem schmalen Raum in der dritten Etage des Gebäudes richtet das Bremer Literaturkontor ein Schreibbüro ein, in dem die renommierten Krimiautoren Jürgen Alberts und Winfried Hammelmann auf der Basis von realen Kriminalfällen fiktive Kurzgeschichten schreiben. Die Archiv-Besucher können echte Fälle in Form von Zeitungsartikeln aufspüren und den Autoren vorlegen. Einen weiteren Höhepunkt bilden die Aufführungen von »Steuer-Oasen für gemischten Chor«. Diese Inszenierung setzt sich auf ironische und kritische Weise mit dem Sujet Steuerflucht auseinander, wobei auf Nationalhymnen zurückgegriffen wird, die als Steueroasen bekannt sind."
(Weserkurier, 10.07.2008)

"Einfach reingehen und spontan zugucken ist nicht gefragt: Zuerst gilt es, einen Fragebogen auszufüllen, dann eine Route durch die mehr als 30 Werke umfassende Schau auszuwählen, erst danach wird man auf einen Rundkurs kreuz und quer durch das »Archiv des Verbrechens« geschickt. (...) Die Ausstellung, verteilt auf vier Etagen des ehemaligen Finanzamtes in der Schillerstr. 6/7, erzeugt eine beklemmende Athmosphäre. Beeindruckend: eine Performance zum Thema Stalking, bei der man eine junge Frau im nachgebauten Wohnzimmer ausspionieren kann. Eher Ärger und Abscheu erregend: »Dressed to kill I-II«, wo Menschen verraten, wie sie sich für einen Mord kleiden würden, kombiniert mit der Dokumentation eines echten Bremer Mordfalles."
(Bremer Anzeiger, 13.07.2008)

"Darf man sich hingebungsvoll der Frage widmen, was man am liebsten anziehen würde, wenn man seinen Partner absticht? Und was, wenn man die gewählte Kleidung - etwa eine »bequeme hellgrüne Leinenhose« oder ein »zitronenfaltergelbes Kleid im Stil der 50er Jahre« - tatsächlich anlegt und dazu ein großes Messer in die Hand nimmt. Sind gesammelte Fotographien solcher Kostümierungen, angespitzt durch maliziöse Beschreibungen der imaginierten Mordtaten, gar ein Kunstwerk?
Auf solche Weise das Verbrechen zu inszenieren, um es erweiterten Deutungen zugänglich zu machen - das will das »performing crime«-Projekt der Berliner Künstlergruppe lunatiks. Der Bremer Staatsanwaltschaft war das suspekt. Nachdem die Polizei bereits - mit offiziellem Segen des Bremer Polizeipräsidenten - seit dem letzten Herbst lunatiks beratend zur Seite stand, distanzierte sie sich letzte Woche überraschend von dem Projekt. Die Staatsanwaltschaft hatte kurz vor dem Start der viertägigen Performance Wind von der Sache bekommen und der Polizei jede weitere Zusammenarbeit verboten. Treu hingegen blieb lunatiks der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) als Schirmherr.
Das »Archiv des Verbrechens« ist inszeniert wie eine unwirkliche, kafkaeske Behörde: Die zugewiesenen Routen, die sich der Besucher durch ein System ausgefeilter, kryptischer Zeichenschablonen erarbeiten muss, gleichen einer semiotischen Schnitzeljagd durch ein postmodernes Krimi-Kabinett.
Anstoß erregt der Begriff von Verbrechen, der dem Projekt zugrunde gelegt wird: »Verbrechen«, so notieren die Veranstalter, »sind gewaltsame Eingriffe in den gewaltarmen Teil unserer Realität.« (...) Bringt nicht die soziale Ordnung der Realität jedes Verbrechen erst selbst hervor, als dass von äußerlichen »Eingriffen« die Rede sein könnte? »Natürlich gibt es Strukturen, die Kriminalität zu Grunde liegen, Schulden etwa oder sozialer Abstieg,« sagt Rausch. »Aber diese Strukturen gehen dem Verbrechen nicht voraus. Kriminalität ist ein ganz individueller Vorgang. Entscheidend ist der Einzelfall.« Eine Verallgemeinerung sei allerdings zulässig: Das »Inszenierende« sei charakteristisch für viele Typen von Kriminalität, auch ohne dass sich die Kunst ihrer annehme. Durch die Art, wie Erpresserbriefe geschrieben sind, oder wie man sich bei einem Raub maskiert, wird das Verbrechen zur Bühne des Täters, auf der er seine Drohkulisse aufbaut. Phänomen wie der »Rhythmik«, die solchen Inszenierungen innewohnen, wolle man sich im »Archiv des Verbrechens« nähern. Bei Teilen der lokalen Presse kam dies nicht gut an. Sie hielten dies für Ästhetizismus und sahen die Würde der Opfer gefährdet. Die Performance-Künstlerin Jule Körperich, eine der Urheberinnen der Brechmittel-Installation, kann dies nicht nachvollziehen: »Wir machen Verbrechen nicht schöner als sie sind.« Der Vorwurf, dass man sensationsheischend zu Lasten der Opfer Kunst produziert habe, gehe an der Sache vorbei: »Bei uns wird die Stimmung reproduziert, die wir beim Verfolgen des Prozesses hatten. Die Verwirrtheit, das Unwohlsein und die offenen Fragen bei unserer Installation sind das Ergebnis der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Fall.« Für die Angehörigen sei das in Ordnung - der Bruder des Toten selber hat eine Tonspur für das Projekt eingesprochen. Doch neben solchen tragischen Fällen geht es bei »performing crime« auch um Dinge wie Gefängnisausbrüche oder Banküberfälle, die seit jeher eine subversive Faszination ausstrahlen. Kann man solche Themen überhaupt verhandeln, wenn man die Kriminalpolizei als Kooperationspartner hat. »Wir sind hier in der Tat zwei Gefahren ausgesetzt,« sagt Rausch, »der Heroisierung und der Banalisierung.« Dies hätten viele KünstlerInnen dadurch umschifft, indem sie die Phänomene in den Mittelpunkt gestellt hätten und die »ethische Bewertung« der Taten außen vor bleibe."
(die tageszeitung, 11.07.2008)

"Echte Kriminalfälle aus Bremen, Morde und Entführungen inspirierten die Kunst-Installation »Archiv des Verbrechens«. Doch wo bleibt da die Ethik, wo der Respekt für Opfer und Angehörige? (...) »Wir haben uns viel mit den moralischen Fragen beschäftigt, auch mit Vertretern der Opferhilfe-Organisationen gesprochen,« so Kerstin Grübmeyer und Tobias Rausch vom Künstlerkollektiv lunatiks produktion. (...) »Es soll keine sensationsheischende Arbeit sein. Aber Kriminalität hinterlässt Spuren in einer Gesellschaft.« Im ehemaligen Finanzamt präsentieren sich nun mehr als 30 Einzelarbeiten aus den Bereichen Theater, Mode, Tanz, Malerei und Musik. Thema ist beispielsweise: Was ist ein Verbrechen? So wusch ein Künstler ungefragt fremde Autos. Andere setzten unverschlossene Fahrräder aus und warteten, ob und wann diese gestohlen würden. Der Bruder des bei einem Brechmittel-Einsatz getöteten Mannes stellte sich für Interviews zur Verfügung. Doch waren eben auch echte Mordfälle aus Bremen und umzu Vorbild für künstlerische Fragestellungen."
(WochenJournal, 09.07.2008)

"Ein Archiv des Verbrechens haben die insgesamt 47 Künstler geplant. Reale Fälle sollen in ihm gespeichert werden, allerdings nicht in Form einer bloßen Abbildung. Ästhetisiert sollen sie erscheinen, aber nicht im Sinne einer medialen Unterhaltsamkeit. Jenseits jeglicher Moralisierung soll ihre Betrachtung stattfinden, gleichwohl aber sollen sie etwas über die »Probleme und Defizite« eine Gesellschaft erzählen. Reichlich unscharf sind diese Zielsetzungen - und das bei einem so gefährlichem Thema wie der Betrachtung von Kriminalität aus rein ästhetischer Sicht. (...) Gar nicht mehr so seltsam mutet das allerdings an, wenn man auf die Liste der begleitenden »Expertengespräche« blickt. Vom taz-Redakteur Benno Schirrmeister bis zum Kurnaz-Anwalt Bernard Docke ist dort die geballte Kraft des linken Bürgerspektrums vertreten: Leute mit ausgeprägtem Misstrauen gegen die Staatsgewalt. Solches mag grundsätzlich durchaus angebracht sein und zweifellos handelt es sich bei den eingeladenen Experten um ehrenwerte Persönlichkeiten. In Verbindung mit einem »Archiv des Verbrechens« aber, das sich weniger mit Mord und Totschlag als mit dem Text des Zuwanderungsgesetzes (Verbrechen?) oder der Bremer Ausweisungspraxis von Verbrechern im vorletzten Jahrhundert befasst, erhält das Vortragsprogramm einen verdächtigen Anstrich: Ist der gemeine Gewalttäter bloß das arme Opfer des Systems? Werden hier etwa die eigentlichen »Verbrecher« in Reihen der Verbrechensbekämpfer vermutet. Man wolle keinesfalls Antworten liefern, sondern lediglich Fragen, betonte lunatiks-Leiter Tobias Rausch gestern: Die Kritiker mögen sich mit einem Kommentar bis zur Eröffnung der Veranstaltung zurückhalten. Doch hat es den Anschein, als handele es sich bereits bei dem Programm um nichts anderes als eine einzige große Antwort. Und schon allein diese schreit nach frühzeitiger Kommentierung."
(Syker Kreiszeitung, 09.07.2008)

"Mit künstlerischen und darstellerischen Mitteln versuchen sich die Projekt-Teilnehmer dem großen Thema Kriminalität und Gesellschaft zu nähern. Der Zuschauer ist dabei eher ein Besucher, der sich in den hergerichteten Räumen mit verschiedenen Aspekten von Verbrechen auseinandersetzt. Er kann während der Öffnungszeiten auf eigene Faust die Räume, Darstellungen und Inszenierungen erkunden oder sich führen lassen. »Wir wollen eine ganz ernsthafte Beschäftigung mit dem Thema Kriminalität zeigen, nicht sensationsheischend, sondern unter die Oberfläche schauen«, betont Tobias Rausch; auch mit Blick auf die jüngst veröffentlichte Erklärung der Polizei und der Staatsanwaltschaft Bremen, die ihre Zusammenarbeit mit den Künstlern aufkündigten. Sie machten ethische Bedenken geltend. »Das ist schade, weil wir Fenster öffnen und Menschen zum Nachdenken anregen wollen,« sagt Rausch."
(Weserkurier, 11.07.2008)