Pressestimmen "einsatz spuren" |
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einsatz spuren - Ein Rechercheprojekt zum Krieg "Woche für Woche wird literweise roter Saft vergossen auf deutschen Bühnen, um den Zuschauer klarzumachen, wie grausam der Mensch ist. In modernen Inszenierungen der Stücke von Brecht, Kleist oder Shakespeare knattern dazu Maschinengewehrsalven oder werden Filmbilder eingespielt von zerfetzten Leibern und Bombenkratern, bis dem Publikum die Ohren preifen und die Augen schmerzen. Doch es geht auch direkter, leiser und verstörender, wenn im Theater Kriegsberichterstattung auf dem Spielplan steht. In Kiel zum Beispiel schickt der Regisseur Tobias Rausch ohne jeden Krawall seine Hauptdarstellerin auf eine kahle, nur mit ein paar Bodenlöchern versehene Bühne, wo die junge Fau vom letzten Telefonat eines Bundeswehrsoldaten mit den Lieben zu Hause erzählt. »Es ist ruhig heute hier, viel zu ruhig«, das seien die Worte des Mannes am Abend vor dem geplanten Heimflug nach Deutschland gewesen, sagt die Schauspielerin Maria Goldmann, sie trägt schwarze Hosen und ein schwarzes Hemd und dazu hellbraune Kampfstiefel. »Am nächsten Morgen war er tot.« Dann blickt sie eine Weile ins Leere, erzählt von den Fernsehnachrichten am Todestag, den Fragen der Kinder, den Blicken der Nachbarn und sagt mit kühler Stimme: »Das Leben geht nicht weiter.« Das ist ein packender Moment in einer konzentrierten Theateraufführung, die ihre Zuschauer durch eine Intensität aufwühlt, wie sie sich durch die Berichte noch der besten Reporter kaum einstellt. Der Stücktext ist eine Collage aus Dutzenden Interviews und Gesprächen mit Soldaten und ihren Angehörigen. »Hast du wen getötet?«, das sei die häufigste Frage, die gestellt werde, wenn die Soldaten wieder zurück seien in Deutschland, heißt es im Kieler Theaterabend »Einsatz Spuren«, aber: »Was soll man da erzählen?« Vor 18 Jahren behauptete der Schriftsteller Botho Strauß in seinem »Bocksgesang«-Essay im SPIEGEL (6/1993), die deutsche Gesellschaft sei zu verkommen und zu verwirrt, um ernsthaft über die Notwendigkeit von Kriegen zu diskutieren: »Dass ein Volk ein Sittengesetz gegen andere behaupten will und dafür bereit ist, Blutopfer zu bringen«, schrieb Strauß, »das verstehen wir nicht mehr und halten es in unserer liberal-libertären Selbstbezogenheit für falsch und verwerflich.« Nun will der 37 Jahre alte Regisseur Tobias Rausch zeigen, wie sehr sich die deutsche Gesellschaft verwandelt hat, seit »die Bundesrepublik in einen Krieg verwickelt ist«. Die große Mehrheit seiner Kollegen bestückt in der deutschen Stadttheaterpraxis ihre Spielpläne so, als sei es Mahnung genug, die Werke toter Dramatiker aufzuführen, in denen vom Dreißigjährigen Krieg die Rede ist oder von den großen Schlachten der Etrusker gegen die Römer oder der Franzosen gegen die Engländer. Rausch hält sich dagegen an die Frauen und Männer vom »Wehrbereichtskommando I Küste« und von der Hinterbliebenen-Initiative »Du bist nicht allein«, an Militärpfarrer und Psychiater, Soldatenmütter und Soldatenfrauen. Aus deren Auskünften machte er sein Stück, in dem drei Schauspielerinnen und zwei Schauspieler den dokumentarischen Stoff verdichten: Berichte über Schmutz und Gestank, über Hitze und Kälte, über die Langeweile und die Zweifel der deutschen Krieger in Afghanistan. »Man sagte uns, wir würden geschickt, um Brunnen zu bohren und Schulen zu bauen«, heißt es einmal an diesem Theaterabend, und bald darauf: »Es wurden eine ganze Menge von Unwahrheiten erzählt.« Oft wird auch über Geld gesprochen, über die Gefahrenzulage, die jeder deutsche Soldat kassiert: Maximal »110 Euro pro Tag, das ist ein Mückenschiss«. Deutsche Wehrpolitiker und Militärs klagen häufig darüber, dass die Bürger zu wenig über den Afghanistan-Einsatz deutscher Soldaten wissen wollten. Doch das Thema hat längst seinen Platz gefunden in der deutschen Öffentlichkeit, erst recht seit dem Streit über die Bombardierung von Tanklastern in Kunduz im Herbst 2009 und den Truppenbesuchen des Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg, der einmal auch seine Frau mitnahm. Dazu gehört nun auch eine Form von dokumentarischem Theater, bei der es vor allem darum geht, was das für Menschen sind, die für Deutschland in einem fernen Land Krieg führen, und warum sie es tun. Der Theatermann Rausch forscht entschlossen nach; und ebendas machen auch die Betreiber eines Projekts, das am vergangenen Mittwoch in Potsdamer Hans Otto Theater seine Uraufführung hatte. (...) Und doch geht es genau darum: um die Bewertung einer komplexen, verfahrenen Realität. In den besten Momenten schaffen es die Dokumentartheaterabende von Potsdam und Kiel tatsächlich den Schmerz und die Not und die Widersprüche deutlich zu machen, die sich die Deutschen durch den Kriegseinsatz in Afghanistan aufgeladen haben. »Man sagt sich Dinge, die man sich sonst nie sagen würde«, berichtet ein Soldat in der Kieler Aufführung. »Alle haben die gleiche Angst: dass da niemand mehr ist, zu Hause, wenn sie zurückkommen«, sagt ein Oberst. In anderen Augenblicken sind die Glut der Gemeinschaft und die kriegerische Euphorie zu spüren, die manche Rückkehrer ins Schwärmen geraten lassen. Nach jedem Gefecht und jedem Anschlag empfinde man Wellen von Zorn und rauschhafter Egozentrik, erst nach ein paar Tagen »ist der Verstand wieder da«. (Der Spiegel, 03/2011) "Bis Sonnabend darf das Publikum [bei den Autorentheatertagen] noch erkunden, was als Drama derzeit gehandelt wird. Ziemlich viel, ziemlich Verschiedenes. Das hochaktuell einherschreitende Dokumentarstück etwa. Am Theater Kiel hat Tobias Rausch mit "Einsatz Spuren" ein Rechercheprojekt geschaffen, eine Erkundung der mentalen Denk-, Fühl- und Bewusstseinszustände von deutschen Kriegsbetroffenen in Afghanistan. Es ist von Soldaten im Camp die Rede, von den Eltern, Kindern, Gattinnen zu Haus'. Die Inszenierung stellt Haltungen, Ängste, Alltage aus. Dicht und dringlich wird sie, wenn auf illustrierendes Vor- und Nachspielen verzichtet wird, wenn Maria Goldmann die junge Mutter ist, die ohne szenische Schnörkel vom Tod des Mannes im afghanischen Krieg erzählt. Man ahnt etwas davon, was Kriege in Seelen anrichten. "Einsatz Spuren": ein Verheerungsdrama über die Wirklichkeiten der Kriegserfahrungen. Es dokumentiert die Verfasstheit bundesdeutscher Befindlichkeit, mit großer, entschiedener Ernsthaftigkeit, mit Wille zum Wissenwollen, wie die Welt da draußen und in uns drin beschaffen ist. Ernsthaftigkeit, Entschiedenheit. Vielleicht ist es das, was die Gegenwartsdramatik derzeit eint: ihr Bemühen, einer Wirklichkeit habhaft zu werden, die sich den herkömmlichen Denk-Ordnungen entzieht. Wenn es eine gemeinsame Botschaft der derzeitigen Dramenproduktion gibt, dann das Bekenntnis: Wir kennen uns nicht aus in dieser unserer Welt! Wir wissen nicht (besser), wie Überleben in Zeiten der Unsicherheit, des Übergangs gehen könnte. Das Gegenwartsdrama arbeitet darum an Inbildern der Gegenwärtigkeit, an Versuchen, der Wirklichkeit ein Gesicht zu geben, um sie so erkennen zu können." (Berliner Zeitung, 22.06.2011) "Gerade hatte ich mir überlegt, dass wohl auch kürzere Stücke durch Erholungspausen unterbrochen werden sollten. Immerhin hatten auch während der weniger als zwei Stunden dauernden Vorstellung von »tier. man wird doch bitte unterschicht« [bei den Autorentheatertagen] ein halbes Dutzend ZuschauerInnen die Kammerspiele verlassen. Pausen bieten ja nicht nur die Möglichkeit, sich diskret zu entfernen, sondern können auch dazu dienen, wieder einen klaren Kopf zu bekommen und sich dann doch noch einmal auf ein Ärgernis oder gar auf Langeweile einzulassen. Einen Theaterbesuch vorzeitig abzubrechen, ist in jedem Fall frustrierend, und die gewonnene Zeit wird nur selten lustvoll oder erholsam genutzt. Aber dann geschah dies: Das Schauspiel Kiel gastierte mit »einsatz spuren«. Die Box im DT war bis auf den letzten Platz besetzt, es war heiß, die Vorstellung dauerte 2 Stunden, und es gab keine Pause. Dennoch ging niemand während der Vorstellung hinaus, und auch nach Schluss blieben alle auf ihren Plätzen, bis der lang anhaltende Applaus vorbei war. Ich fühlte mich im Zuschauerraum als Teil einer Gemeinschaft, mit allen anderen BesucherInnen verbunden durch ein aufrüttelndes gemeinsames Erlebnis. Im Stück geht es um die Auswirkungen des Krieges in Afghanistan auf die dort eingesetzten deutschen Soldaten und auf ihre Angehörigen. Tobias Rausch, freier Autor, Regisseur und Performer, der mit dem von ihm gegründeten Theaterkollektiv »lunatiks produktion« seit 2001 mit zahlreichen Staats- und Stadttheatern zusammenarbeitet, hat, wie in seinen früheren Produktionen, auch für »einsatz spuren« umfangreiche Vorarbeiten geleistet. Im Gespräch mit Barbara Burckhardt erläuterte Tobias Rausch vor der Vorstellung am 17.06. seine Vorgehensweise. Mehr als 30 Interviews mit Soldatinnen und Soldaten sowie deren Angehörigen hat das Team von lunatiks produktion geführt, dazu Informationen der zuständigen Stellen und Daten und Fakten gesammelt. Die AkteurInnen vom Schauspiel Kiel waren zunächst mit Aktenordnern voller Material konfrontiert und verschafften sich durch die Aufzeichnungen Einblicke in unterschiedliche Persönlichkeitsbilder. Daraus ergaben sich die Rollen, für die Tobias Rausch dann die Dialoge geschrieben und mit dem Ensemble in Szene gesetzt hat. Die gepflegte Alltagssprache, in der die fünf SchauspielerInnen sich vorstellen, von ihren Erlebnissen erzählen und miteinander kommunizieren, lässt an Dokumentationstheater denken. So pointiert und anschaulich wie hier auf der Bühne wird allerdings im Leben nur selten gesprochen. Außerdem geht es nicht darum, real Betroffene voyeuristisch zu erleben. Sensationslust wird in diesem Stück nicht befriedigt. Den DarstellerInnen gelingt es durch ihre subtile Gestaltung, Empathie beim Publikum zu erwecken und Nähe zu Menschen herzustellen, die den meisten ZuschauerInnen bis dahin fremd waren. Über den Krieg in Afghanistan haben sicher fast alle Deutschen eine Meinung, bei der die SoldatInnen häufig nur als Teil dieses Krieges eines Rolle spielen. Im Stück erzählt die Mutter eines Soldaten, dass sie und ihr Mann von Bekannten gemieden werden und dass Freunde sich zurückziehen, seit ihr Sohn in Afghanistan ist. Die SchauspielerInnen sind in unterschiedlichen Rollen zu erleben. Anfangs sind sie alle, gut ausgebildete SpezialistInnen, gerade in Afghanistan eingetroffen. Einer von ihnen hatte gerade erfolgreich alle Prüfungen bestanden. Seine Eltern wollten mit ihm feiern. Da musste er ihnen mitteilen, dass er für den Einsatz in Afghanistan vorgesehen war. Freiwillig gemeldet hatte er sich dafür nicht, und eigentlich hatte er Zivildienst leisten wollen. Seine Eltern hatten ihm geraten, zur Bundeswehr zu gehen. Mit der Möglichkeit, dass er in den Krieg ziehen müsste, hatten sie nicht gerechnet. Einer der Soldaten sagt einmal, dass die Taliban, wenn sie es wollten, alle fremden Soldaten aus dem Land jagen könnten und das eines Tages wohl auch tun würden. Über den Sinn oder Unsinn des Kriegseinsatzes äußern sich die Betroffenen darüber hinaus nicht. Der Bühnenboden ist mit einem Teppich bedeckt, in dem einige Öffnungen klaffen (Ausstattung Michael Böhler). Diese Löcher dienen als Eingänge zu Bunkern oder Unterständen. Die in unterschiedlichen Formen aus dem Boden herausgesägten Teile stehen auf der Bühne herum oder hängen an Schnüren. Aus diesen Klötzen werden Schutzwälle gebaut, sie lassen sich als Sitzmöbel oder, zu Hause, als Kaffeetisch nutzen. Die Szenen des Stücks wechseln beständig zwischen dem Erleben der Soldaten in Afghanistan und dem ihrer Angehörigen in Deutschland, wobei die Verbindung zwischen ihnen, der Austausch per Telefon, eine sehr wichtige Rolle spielt. Das gegenseitige Verstehen gestaltet sich häufig schwierig, weil die Soldaten manche Erfahrungen, die ihnen selbst unbegreiflich erscheinen, nicht vermitteln können und weil ihnen, vor diesem Hintergrund, die Schulnoten ihrer Kinder plötzlich ganz unwichtig erscheinen. Mit der Rückkehr nach Hause scheint alles wieder in Ordnung zu sein. In einer sehr intensiven Szene berichtet Ellen Dorn als Mutter, wie sie ihren Sohn am Flughafen abholt und schon von Weitem erleichtert feststellt, dass er unverletzt und gesund aussieht. Aber dann bekommt der junge Mann Tobsuchtsanfälle, rast mit seinem Auto wie ein Wahnsinniger durch die Straßen und wird schließlich in psychiatrische Behandlung gebracht. Manche Soldaten werden nach ihrer Heimkehr nach ihren Abenteuern gefragt, und haben nichts zu erzählen, weil sie nur in einem Büro gesessen haben, andere können über ihre Erlebnisse nicht sprechen. Gestorben wird nicht nur in Afghanistan. Ein Militärpfarrer erzählt, dass er einem Soldaten, kurz vor seinem Flug nach Hause, mitteilen musste, dass seine Verlobte bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war. Aber es geschieht auch, dass ein Offizier und ein Militärpfarrer in Deutschland vor einer Tür stehen und eine Todesnachricht überbringen. Maria Goldmann spielt sehr eindringlich und erschütternd eine junge Frau, Mutter von zwei kleinen Kindern, deren Mann am Ende seiner Einsatzzeit, auf dem Weg zum Flughafen, in Afghanistan ums Leben gekommen ist. Sie muss ihrem sechsjährigen Sohn erklären, dass sein Vater nicht mehr nach Hause kommen kann und sie muss das schreckliche Wort Witwe für sich akzeptieren. Am Ende des Stücks fungieren die Holzklötze als Rasenmäher, mit denen sich alle Mitwirkenden hingebungsvoll betätigen. Fast alle Soldaten hätten, auf die Frage, was sie nach ihrer Rückkehr aus Afghanistan besonders gern tun möchten, Rasen mähen angegeben, hatte Tobias Rausch im Vorgespräch erzählt. (Weltexpress, 27.06.2011) "Sie haben Bundeswehrsoldaten und ihre Angehörigen befragt, Techniker, Seelsorger und Verwaltungsangestellte - alle auf ihre Weise mit dem Kriegseinsatz in Afghanistan verbunden. Aus dem Material von über 30 Gesprächen haben Regisseur Tobias Rausch und Rechercheur Tobias Graf am Kieler Schauspiel das Stück »einsatz spuren« destilliert. Für die interessante Urauführung gab es am Sonntag viel Beifall. Wüstensandfarbener Flausch bedeckt die Bühnenschräge, die Löcher und Trümmer darauf erinnern entfernt an ein Steckspiel für Kleinkinder. Nur die Körper, die merkwürdig verdreht darauf lagern, brechen das Kinderzimmer-Gefühl. Ein gutes Bild dafür, wie die Wirklichkeit nicht in den Köpfen ankommt. Hier, 6000 Kilometer vom Kriegsgeschehen entfernt sowieso nicht - und bei denen, die mitten drin stecken in Afghanistan und sich in Lagern und hinter Schutzhelmen verschanzen, auch nicht. Das ist die deutlichste Erkenntnis an diesem Abend, der intensive Bilder herstellt. Dabei haben die Schauspieler, die Ausstatter Michael Böhler in Schwarz und in Springerstiefeln austauschbar auf die Bühne stellt, viel zu erzählen. Vom langen Abschied und der nicht stattgefundenen Ankunft, von Muttersorgen, Telefongesprächen wie von einem anderen Stern, dem Alltag mit Splitterschutz und Schleudersitz. Jennifer Böhm, Ellen Dorn, Maria Goldmann, Roman Hemetsberger und Werner Klockow sind Eltern, Ehefrauen, Freundin und Nachbar, traumatisierter Heimkehrer oder desillusionierter Seelsorger. Nicht diejenigen, die mitten im Auge des Taifuns stecken, eher die, die in näherer oder weiterer Entfernung von seinen Winden getroffen werden. Die »Beifahrer« nennt Tobias Rausch sie - und solche Figuren haben die Berliner Gruppe lunatiks produktion auch schon in der ersten Zusammenarbeit mit dem Kieler Schauspiel »Statisten des Skandals« (2009) interessiert. So entsteht ein Puzzle der Episoden, Stimmungen und Erinnerungen. Durchgängige Rollen gibt es nicht, Textgeneratoren aber sind Rauschs Figuren höchstens momentweise - wenn sich der Text im Chor der alleingelassenen Ehefrauen (Maria Goldmann, Ellen Dorn) zur Klangfläche verdichtet. Vor allem läßt sie der Regisseur spielen und erzählen. Gruppentherapie, Spielwiese, Theater. Immer dicht dran an den Schicksalen, von denen sie berichten. (...) Im lockeren Fluss reihen sich die Szenen; strukturiert mit allerlei geschickt geschalteten Störmanövern, machen sie die Unvereinbarkeit der Realitäten hier und dort sichtbar, verdeutlichen die Abwege des Bewusstseins, seine Sicherungsmechanismen. Erschreckend wie der Gewaltausbruch des Kriegsheimkehrers. Absurd komisch, wenn der ferne Vater bei 50 Grad in Kampfstiefeln durch die Wüste stapft und die Ehefrau daheim beklagt, dass wieder keine Zeit fürs Schwimmbad war." (Kieler Nachrichten, 05.10.2010) "Das Stück »einsatz spuren« über die Folgen der Auslandseinsätze der Bundeswehr setzt Maßstäbe. Das Theater ist das erste in Deutschland, das sich an das Thema in dieser Weise heran gewagt hat. Fünf Schauspieler - drei Frauen und zwei Männer - verdichten in »einsatz spuren« die Gefühle und Erfahrungen von Soldaten und Zivilangestellten sowie derer Angehörige im Einsatz in der Heimat zu einer eindrucksvollen Collage." (Schleswig-Holsteinische Landeszeitung, 02.11.2010) "Ein schwarz gekleideter Mann steht auf der Bühne. Er analysiert trocken die Rolle des Pastors, der einen Auslandseinsatz der Bundeswehr begleitet: Im Einsatz rennen ihm die Soldaten die Bude ein. »Zu Hause, in der Heimatgemeinde« erwarten ihn dagegen ein weitgehend leerer Gemeindesaal, eine Mitteilungstafel mit Aluminiumrahmen und einige gelangweilte, ältere Gemeindemitglieder. Die Zitate im Stück »einsatz spuren« auf der Studiobühne des Kieler Stadttheaters sind authentisch. Das aufwändig inszenierte Projekt über die Folgen der Auslandseinsätze der Bundeswehr geht auf eine Idee des Kieler Generalintendanten Daniel Karasek zurück. Sein Theater ist das erste in Deutschland, das sich an das Thema in dieser Weise herangewagt hat. Karasek möchte, dass Theater mit seinen Möglichkeiten einen eigenen gesellschaftlichen Beitrag zu der gesellschaftlichen Diskussion liefert. Fünf Schauspieler - drei Frauen, zwei Männer - verdichten die Gefühle und Erfahrungen von Soldaten und Zivilbeschäftigten im Einsatz sowie von deren Angehörigen in der Heimat in einer eindrucksvollen Collage. (...) Es sind Alltagsprobleme, die »einsatz spuren« thematisiert. Sicherlich geht es auch um die Gefahr für Leib und Leben der deutschen Soldaten; aber im Zentrum des Geschehens stehen die »Beifahrer«, wie Graf sie nennt: Frauen, Freundinnen, Eltern, Bekannte - Menschen, die weitgehend hilflos mit ansehen müssen, was ihren Partnern, Freunden, Kindern in der Ferne geschieht. Die aber auch die Folgen mittragen müssen, wenn die Soldaten an Körper und Seele geschädigt zurückkehren. »einsatz spuren« ist kein Stück gegen oder für Auslandseinsätze der Bundeswehr. Das heißt allerdings nicht, dass es auf eine eigene Stellungnahme verzichtet. Die Aufführung verdichtet in fast zwei Stunden die Gefühle der Betroffenen; sie stellt indirekt die Frage nach moralischen Grundlagen. Sie macht Strukturen deutlich, die dafür verantwortlich sind, dass deutsche Soldaten in einen bewaffneten Krieg ziehen. Und das eine doer andere Mal hält das Stück vielen Bürgern in ihrem distanziert gelangweilten Desinteresse vor, wer denn am Anfang der demokratischen Legitimations-Kette für die Einsätze steht: nämlich sie selbst." (Evangelische Zeitung, 28.10.2010) "Das abstrakte Monstrum Krieg ist mit dem Afghanistan-Einsatz für viele deutsche Soldaten zu einer bitteren Realität geworden. Was die Erfahrung dieser Realität für die Soldaten selbst - aber vor allem auch für deren Angehörige - bedeutet, zeigt das Stück »einsatz spuren«. Die Bühne des Kieler Studio-Schauspielhauses ist vollständig mit beigem, flauschigen Stoff bedeckt. Der so dargestellte Wüstensand wird immer wieder unterbrochen von Löchern, die - wie bei einem Steckspiel für Kinder - mit dem passenden »Pfropfen« gefüllt werden können. Ein Pfropfen, der mal Trümmerbrocken, mal Bank, mal Waschmaschine oder sogar Rasenmäher ist. Inmitten dieser kargen Kulisse liegen die fünf Schauspieler des Berliner Produktionskollektivs lunatiks produktion: Jennifer Böhm, Ellen Dorn, Maria Goldmann, Roman Hemetsberger und Werner Klockow. Ihre Körper sind seltsam verdreht, regungslos, leblos. Das Bild, das sich dem Zuschauer somit bietet, wirkt beklemmend, es verunsichert, doch noch bevor sich ein Kloß im Hals der Wartenden bilden kann, ertönen filmisch anmutende Geräusche. Werner Klockow beginnt zu monologisieren, bricht dann in hysterisches Gelächter aus, die anderen vier fallen ein; Hubschrauberlärm hat sie zuvor jäh aus ihrer totengleichen Starre gerissen. Jetzt laufen alle fünf gehetzt durcheinander - ein furioser Auftakt für ein nicht minder furioses Stück. Von nun an sind die drei Frauen und zwei Männer mal Soldaten, mal Heimkehrer, mal Freundinnen, mal Ehefrauen oder gar Seelsorger; die Rollen, in die die Schauspieler schlüpfen müssen, sind vielschichtig, die Übergänge der Metamorphosen fließend. Der Text, den sie sprechen, ist eine Collage aus etlichen Gesprächen und Interviews, die Regisseur Tobias Rausch mit Soldaten und ihren Angehörigen geführt hat. Mal lässt er seine Schauspieler in Form eines eindringlichen, schier endlosen Monologs zu Wort kommen, mal lässt er sie in Form eines simultan sprechenden Chors auftreten. Immer darum bemüht, die ausgewählten Zitate durch den Mund der Akteure in ihrer Aussagekraft optimal zu transportieren. Auch wenn die Gefahr für Leib und Leben, mit der die Soldaten im Krieg tagtäglich konfrontiert werden, immer wieder indirekt deutlich wird, sind es doch die Gefühle der nicht unmittelbar Betroffenen, der »Beifahrer«, die im Zentrum des Theaterstücks stehen. Was empfindet die Freundin, die permanent zu Hause in Deutschland um das Schicksal ihres Partners bangen muss? Hilflos und mit dem Telefon als einzige Verbindung in eine Welt, die ihr bizarr und nicht greifbar scheint, und doch gleichzeitig den Alltag für ihr einen doch so verbundenen Menschen darstellt? Wie erklärt die junge Mutter ihren Kindern, dass Papa nicht mehr zurückkommen wird und wie soll sie es selbst begreifen, was tun und wie weitermachen, wenn doch »Das Leben geht nicht weiter« der einzige Gedanke zu sein scheint, der in ihrem Kopf noch Raum findet? Wie sollen die Eltern mit einem Sohn umgehen, der seinen Tee nicht mehr trinken kann, weil seine Hand beständig zittert, der zwar physisch zu ihnen zurückgekehrt ist, sich aber tatsächlich in weiter Ferne befindet, mental in einer Wirklichkeit lebt, zu der seine Eltern keinen Zugang haben? »Der Körper ist längst da, aber die Seele kommt erst ganz langsam, zu Fuß hinterher über den Hindukusch«, spricht Ellen Dorn eindringlich in ein Mikrofon, dem in vollkommener Stille gebannt lauschendem Publikum entgegen. »Einsatz spuren« ist eine eindrucksvolle Collage, eine konzentrierte Aufführung, die jene Facetten des Kriegs beleuchtet, die bisher noch zu wenig Aufmerksamkeit gefunden haben. In einer aufwühlenden Intensität werden die Gefühle der Betroffenen thematisiert, indirekt steht die Frage nach den moralischen Grundlagen des Kriegs ununterbrochen im Raum. Der Zuschauer kann sie nicht ignorieren, er wird gezwungen, sich diese Frage auch selbst zu stellen, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Während der Aufführung. Auf dem Nachhauseweg. Wenn er noch immer bewegt und in gewisser Weise auch verstört in sein Bett fällt. Vielleicht sogar noch an den Tagen danach. Wird er eine befriedigende Antwort finden?" (Der Albrecht, 20.04.2011) "Als die Zuschauer den Saal betreten liegen die Darsteller bereits verkrümmt auf der Bühne. Von einem erkennt man nur das Bein, der Rest des Körpers bleibt unsichtbar. Das Stück beginnt mit dem Bild eines schlimmst möglichen Szenarios für einen Soldaten im Einsatz: nach einem Angriff liegen die Leichenteile der Kameraden in der Gegend herum. In ersten Monologen erzählen die Darsteller von den Bildern des Krieges. Blut auf Melonen. Das Verstörende präge sich ein, es seien die Bilder, die in Erinnerung die Schocks lebendig halten und langfristig traumatisieren. War Krieg nicht eigentlich etwas Prähistorisches? Längst überwunden? Die Schauspieler agieren in dem Stück immer auch als kommentierende Darsteller. Sie bilden eine Gruppe von fünf Leuten, aus der einer in den Einsatz geht, im Einsatz ist, aus dem Einsatz zurück kommt. Mal spielen zwei gleichzeitig die Mutter eines Soldaten. Sie teilen ihr Unverständnis und ihre Sorgen mit. Es ginge so schnell, noch bevor sie eigentlich die Erfahrungen der eigenen Mutter aus dem zweiten Weltkrieg mit dem Einsatz ihres Sohnes vergleichen und voneinander trennen könne. Überhaupt, Trennung. Während der Soldat vor dem Einsatz mit Spannung von Gefahren im Einsatz faselt, machen die Daheim Bleibenden schon Pläne für jeden möglichen Ausgang. Während des Einsatzes lernen sie, ohne sie/ihn leben zu können. Trennung finde statt, nicht nur räumlich, sondern auch psychisch. Es offenbare sich die Qualität der Beziehungen. Viele gingen schon während des Einsatzes auseinander. Selbst die absurden Versuche, Sexualität auf Distanz zu leben, werden auf der Bühne thematisiert. Fernbeziehungen unterliegen im kriegerischen Einsatz wohl einer besonderen Dramatik. Das Gewicht der Schutzwesten, die Enge des Lagers, die anstrengenden Telefonate mit den Daheim Gebliebenen. Und, wer sind eigentlich diese Afghanen? Unter ihnen sind Freunde und Feinde, Täter und Opfer, mehr erfährt man nicht, denn sie bleiben fremd. Nach eineinhalb Stunden erleben die Zuschauer einen sehr starken Moment, den verzweifelten Monolog einer jungen Frau, die zur Witwe wurde. In einer abschließenden Geste sucht sie mit starrem Blick die Hand ihres verstorbenen Gatten vergeblich zu greifen. Sie gibt auf. Leichtes Theater, schweres Thema. Auf einer einfachen Bühne wird sowohl der heimische Rasen gemäht, als auch der Sandsturm in Afghanistan simuliert. Ein paar Tassen und etwas Vogelgezwitscher aus den Lautsprechern reichen für die familiäre Atmosphäre. So wirkt das Zittern der Hand überdeutlich. Nach ein paar freundlichen Worten der Familie der plötzliche Wutausbruch. Und immer wieder diese hohen entnervenden Töne der Anspannung. Die Feststellung, dass die Soldaten und Familien noch die nächsten zehn Jahre mit den psychischen Folgen der Einsätze beschäftigt sein würde. Warum nur zehn Jahre? Applaus für die Darstellung. Das Gastspiel hat die Einsatz Spuren in einem Drama menschlicher Beziehungen gekonnt und beeindruckend auf die Bühne gebracht. Deutlich wurde auch, dass ein Interesse an den Schicksalen der Soldaten und ihren Angehörigen in der Gesellschaft existiert. Und alle nicht prominenten Beteiligten scheinen auf der Suche nach dem Sinn des Einsatzes zu sein. Was bleibt sind Ratlosigkeit und offene Fragen. (suite101.de, 13.03.2011)
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