lunatiks produktion
Pressestimmen "Alles offen"


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ALLES OFFEN
Rostocker Geschichten aus der Zeitenwende

"Momente des Übergangs" - Gunnar Decker schlägt »Alles offen« für das Alternative Theatertreffen der Fachzeitschrift Theater der Zeit vor. Wir dokumentieren seinen Artikel, mit dem er die Auswahl begründet:

"Die Geschichte spielt immer mit. Entweder das Theater weiß davon oder nicht. In letzterem Fall wird es allerdings dramatisch - für das Theater selbst. In den neunziger Jahren, nach dem - unsinnigerweise - beschworenen Ende der Geschichte, verlor das Theater mehr und mehr seinen Boden unter den Füßen. Wir haben jetzt Demokratie statt Diktatur und also gibt es auch keine Tragödien mehr - so ungefähr sprach der Zeitgeist. Alle Probleme sind lösbar, man muss nur lange genug darüber debattieren. Love-Parade ohne Limit, in medialer Schleife laufende Comedy bis zum geistigen Tod. Aber die Geschichte kehrte zurück, mit den Bomben auf Jugoslawien, mit dem 11. September 2001 und mit dem Krieg im Irak und in Afghanistan.
Vor diesem Hintergrund agiert »Alles offen«, eine Zusammenarbeit von lunatiks produktion mit dem Volkstheater Rostock. Geschichte ist hier vieles zugleich: eine proustsche Suche nach der verlorenen Zeit, melancholisch grundierte Erinnerung an das, was die Zeit vernichtet hat. Lebensgeschichte, die jeder anders erinnert. Aber auch objektivierbare Geschichte von Institutionen, Datenmaterial, das vom Tage übrig blieb. Geschichte von Hoffnung und Enttäuschung in einer konkreten welthistorischen Situation. Für den einen begann etwas Neues, für den anderen endete etwas - das Ganze ergibt jenen Prozess aus lauter Widersprüchen, den wir Geschichte nennen. Ohne ihn stünden wir orientierungslos im luftleeren Raum, ganz ohne jenes Gewicht, das sich in den Jahren nicht nur als Körpermasse mehr und mehr anlagert, sondern auch als Erfahrung.
Geschichte hat immer einen Ort, ohne den sie eine entscheidende Nuance anders wäre. Insofern ist jeder Ort ein besonderer. Am Volkstheater Rostock bei »Alles offen« ist es die Stadt im Herbst 1989, die Revolution erreicht die Küste, und hier gehen, wie wir aus Thomas Manns Schilderung der 1848er Revolution in den »Buddenbrooks« wissen, die Uhren anders. Bei Mann ist es Lübeck, das von einer kurzen revolutionären Hitzewallung ergriffen wird, bei lunatiks Rostock. Und bei beiden treffen wir auf ein immer noch zu wenig beachtetes geschichtskonstitutierendes Element: die Mentalität. Nicht nur die des Ostens, auch die des Nordens, immer etwas langsamer und skeptischer gegenüber den Verheißungen als anderswo.
lunatiks gelingt der schwierige Spagat zwischen Geschichten und Geschichte. Theater als Form der Erkenntnis, das ist hier der hohe Anspruch aus Recherche, Zeugenbericht und dokumentierter Chronik: eine Rekonstruktion von Abläufen. Aber das allein wäre eher eine Unterrichtsstunde, bildsam gewiss, doch noch kein Theater. Das ersteht erst aus der Alltagsgeschichte auf: als Spektakel. Insofern sehen wir bestes Volkstheater.
Interessant ist immer der Moment des Übergangs. Und viele der Dabeigewesenen, damals im voranstürzenden Dunkel der Praxis gefangen, schauen heute umso intensiver zurück auf diese Wochen von Ende Oktober bis Weihnachten 1989. Sie wollen verstehen, was passierte, mit ihnen und dem Land, in dem sie lebten, und ob alles so kommen musste, wie es dann 1990 kam. Hegels Furie des Verschwindens bewegt sich immer im Kreis. Nach etwa zwanzig Jahren holt sie das wieder hervor, was damals so rasend schnell verschwand, so schnell, dass man sich vieles gar nicht richtig einprägen konnte. Was wir hier im Theater am Stadthafen, dieser experimentierfreudigen Studiobühne des Volkstheaters sehen, ist Erinnerungshilfe. Nicht um etwas festzuhalten, das vorbeiging, auch nicht um es wiederaufleben zu lassen - was tot ist, bleibt tot -, im Gegenteil: Das Gestorbene, auch in unserer eigenen Biografie, soll würdig beerdigt werden. Vergessen darf nicht Verdrängen sein, sonst spukt das Untote am Gestern weiter im (individuellen wie gesellschaftlichen) Unterbewusstsein. Nur wer sich immer wieder erinnert, der kann das eine behalten und das andere endgültig zurücklassen.
Die Bühne von Michael Böhler: weiße Kartons wie für einen Auszug, der auch Umzug sein kann. Und dann inszeniert Tobias Rausch in einer Weise, die lunatiks produktion auszeichnet, zuletzt bei »Schicht C«, der Geschichte des Katastrophenwinters 1978/79 im Kernkraftwerk Greifswald. Auch »Alles offen« ist ein Puzzle aus Fakten und Erinnerungsbildern. Drei Schauspieler - Benjamin Bieber, Caroline Erdmann, Marco Matthes - tauschen fast im Minutentakt die Figuren (auch untereinander); verschiedenste, auch gegensätzliche Perspektiven stehen sich auf engstem Raum gegenüber. lunatiks ist kein Ostalgieprojekt, im Gegenteil: Jede Verklärung wird hier auf ihren harten Erinnerungskern gebracht. Auf jede Antwort folgt eine Frage. So entsteht jene Spannung, die Geschichte als einen Prozess zeigt, der nie abgeschlossen ist - auch nicht im Rückblick. Illusionen bewirken dabei ebenso viel wie Enttäuschungen. Aus beidem ist die Geschichte gemacht, man muss sie nur genau benennen wollen.
»Alles offen« beschreibt das komplizierte Gefühl des Loslassens einer ungeliebten, aber immerhin vertrauten Gegenwart. Zukunft, das war im Herbst 1989 jedem klar, würde nicht die bloße Fortschreibung der Vergangenheit Ost sein. Dass sie dann allzu sehr die Fortschreibung der Vergangenheit West sein würde, die Wiederkehr des fatalen Wir-sind-die-Sieger-der-Geschichte (nun von Westen aus), das hatten wir im Herbst 89 nicht erwartet. Wir hören die FDJ-Fuktionärin auf verlorenem Posten (der einzige, der ihr nun eine echte Lebenschance geben würde) und den Pfarrer, der ganz und gar nicht euphorisch klingt. Im Aufbrechen der deutschen Binnenperspektive zeigt sich manches anders als erwartet, auch der Mythos des freien Reisens steht plötzlich nackt da. Denn gleich nach dem 9. November rüstete sich der kleine dänische Fährhafen Gedser für die ostdeutschen Besucher, die nun plötzlich reisen konnten, wohin sie wollten. Man bereitete ein Fest vor, eine Empfangsdelegation stand bereit. Dann kam die erste Fähre nach Maueröffnung aus Rostock - und heraus stieg ein einziger Rentner, ein alter Bekannter, der immer mit der Fähre fuhr. Da war die Normalität einmal schneller als der Ausnahmezustand."
(Gunnar Decker in: Theater der Zeit 05/2010)

"Schick angezogen, das Sektglas in der Hand, so sitzen sie beisammen: »Wahnsinn«, das ist das erste und meistgebrauchte Wort bei diesem Diaabend. Doch die Bilder von der Grenzöffnung, vom ersten Besuch im Westen, sie wirken zwanzig Jahre nach der Wende ein »bisschen unscharf«, und manches »erkennt man gar nicht mehr«. Die Theatergruppe lunatiks produktion hat rund 70 Menschen interviewt und deren Berichte über die Wendezeit zu einem lebendigen Geschichtspanorama collagiert. Nicht absolute Wahrheit, nicht Realismus, sondern ein Spiel über und mit der einfachen Wirklichkeit ist das Ergebnis. In einem Bühnenbild aus Pappkartons, mit denen die Schauspieler unentwegt neue Räume bauen (Ausstattung Michael Böhler), spielen sich Benjamin Bieber, Caroline Erdmann und Marco Matthes mit wunderschön lockerer Genauigkeit durch ihre vielen Rollen. Dabei werden die Erinnerungen weder nachgespielt noch gewertet, sondern die Schauspieler erzählen mit vielen, teils sich widersprechenden Geschichten von dem, was die Menschen damals bewegt hat und heute bestimmt.
Heraus kommt eine überzeugend eigene Form, eine Art theatraler oral history. Nicht um Heldengeschichten geht es hier, sondern darum, wie in einer scheinbar banalen Alltäglichkeit mit den Menschen etwas geschah, wie sie in Bewegung gerieten. Offen und fragmentarisch wirkt die Inszenierung von Tobias Rausch - wie die erinnerte(n) Geschichte(n) selbst. Es geht um Westbrötchen und Ostschrippen, um Begrüßungsgeld und Arbeit auf der Warnowwerft. Eine Funktionärin wird in eine Leitungsfunktion gespült, und ein engagierter Bürger findet sich am runden Tisch als Bürgermeister wieder. Stau überall: auf dem Weg nach Lübeck, aber auch auf der Straße zur Mülldeponie Schönberg. Berichte über die Proteste gegen die Mülltransporte aus dem Westen werden gegen Erinnerungen von Fahrern der Mülltransporte geschnitten. Oft sind Ost-Erinnerungen zugleich Ost-West-Erinnerungen: Ob es um durch die Grenze getrennte Menschen geht, um Ausgereiste und Dagebliebene, um Brieffreundschaften oder sich nach der Wende neu und anders entwickelnde (Liebes-)Beziehungen. Erinnerungssplitter, in Parallelmontage gegeneinander und zusammengesetzt zu einem fragenden Theater, so lebendig wie wahrhaftig."
(Hartmut Krug in: Theater der Zeit 11/2009)

"Als im Herbst 1989 die Mauern gen Westen fallen, versammeln sich auch im kleinen dänischen Küstenort Gedser die Leute. Mit Fähnchen und Fanfaren. Sie wollen die Fähre aus Warnemünde in der Freiheit begrüßen. Willkommen, ihr DDR-Bürger, ihr europäischen Nachbarn! Doch als die Brücke heruntergelassen wird, »da latschte der Opa, derselbe, der Woche für Woche, immer am Freitag, nach Dänemark schippert, allein aus der Fähre«.
Die tragikomische Anekdote gegen Ende dieses dokumentarischen Wendeabends »Alles offen« passt wie maßgeschneidert auf den Aufführungsort Rostock. Mit den sächsischen »Heldenstädten« (wo derzeit ähnliche Erinnungsprojekte stattfinden) hat die Hafenstadt an der Ostsee wenig gemein. Spät setzten hier die Montagsdemos ein; vom Mauerfall erfuhr man via TV und Radio. Umso mehr taugt Rostock für einen exemplarischen »Blick von unten« auf geschichtliche Bewegungen, die sich für die allermeisten stets anderswo und ohne ihr Zutun formen.
Tobias Rausch, Kopf der Berliner Dokumentar- und Performancegruppe lunatiks, hat für seine Erforschung des kollektiven Wendegedächtnisses über 70 Personen aus Lübeck und Rostock befragt. Alte SED-Kader sind darunter und Verfolgte des Regimes, aber auch einfache Angestellte und Werftarbeiter. Anonym steuern sie ihre Stimmen zu einem Stück bei, das Rausch mit feinem Gespür für lokale Details und sinnfällige Erzählungen komponiert hat.
Vom landläufigen Klischee zum Übertritt in den schönen bunten Westen verabschiedet sich der Text recht schnell. Aus einem katalogartigem Beginn drängt er auf stets knappe, bündige Narrationen, ruft in Fluchtgeschichten und Berichten von Stasi-Inhaftierten die 80er Jahre zurück. Die Wendemonate werden in präzisem Wechselspiel aus der Perspektive einer FDJ-Kreissekretärin und eines Studentenpfarrers erzählt.
Man hat Dokumentarprojekte, die anstelle von »Experten des Alltags« mit Schauspielern antreten, auch schon scheitern sehen. Das passiert, wenn der Poesie des Alltäglichen und der dramaturgischen Komposition zu wenig vertraut wird und man stattdessen mit Gaudi und Handwerk über den Stoff hinwegbügelt. Caroline Erdmann, Marco Matthes und Benjamin Bieber entgehen in der Regie von Tobias Rausch dieser Falle. Auf einer mit Zelten und weißen Kisten provisorisch wirkenden Bühne (von Michael Böhler) agieren sie sparsam und klar. Gelegentlich deuten sie mit dem Kistenumbau auf das C64-Computerspiel Tetris. Ein gutes Symbol: Stand doch Tetris für einfache Strukturen, ganz gegen den Charakter jener Zeitenwende, seit der die Welt recht komplex auseinanderdrängt.
»Alles offen« kann den stets erhofften Schulterschluss des Rostocker Theaters mit seinem entwöhnten Publikum bedeuten. Lange nicht mehr hat man eine so gut besuchte und euphorisch gefeirte Aufführung im Stadthafen erlebt. Die Lokalpresse ruft bereits nach dem Theatertreffen. Das ist in letzter Instanz übertrieben, aber eine starke Arbeit ist es allemal. »Wie habt ihr früher gesagt: astgeil?« - »Nein: astrein.«
(Christian Rakow in: Theater heute 12/2009)

"»Alles offen«, das jetzt auch zu den Autorentheatertagen in Berlin eingeladen wurde, ist ein erstaunliches Stück. Es fördert zu einem Thema, zu dem eigentlich alles schon unzählige Male erzählt wurde, etwas ganz Eigenes zutage. Etwas über die Menschen im damaligen Rostock. Tobias Rausch fängt diese Stimmung zwischen Aufbruch und Stillstand ein. Er hat für sein Stück nicht nach Helden gesucht, auch nicht nach Anti-Helden oder nach großen Geschichten, sondern nach Nebensächlichkeiten. Aber gerade im scheinbar Banalen und Unwichtigen spürt der Regisseur des in Berlin ansässigen Theaterkollektivs lunatiks etwas von dem Flair und dem Geschmack eins vergangenen Alltags auf. Das macht Tobias Rauschs Inszenierungen vielleicht im Osten, wo viel vom früheren Alltag unglaublich schnell verloren ging, besonders erfolgreich. Die Menschen stehen Schlange, um »Alles offen« in Rostock oder »Schicht C«, Tobias Rauschs Stück über den Katastrophenwinter 1978 im Greifswalder Kernkraftwerk, im Theater Vorpommern zu sehen. Denn diese Arbeiten geben den Menschen, ohne dass die DDR dabei im Geringsten verklärt würde, etwas von ihrer Geschichte zurück."
(Michaela Schlagenwerth in: DeutchlandRadio Kultur, 13.03.2010)

"Entstanden ist keine historische Rekonstruktion der Ereignisse, sondern eine spannende Collage, die die verschiedenen Gefühlslagen der Menschen in Ost und West berücksichtigt. Besonders berührend ist die Geschichte einer 22-Jährigen, die über Wochen in U-Haft bei der Stasi sitzt, und für die viele Rostocker in den Kirchen beten, damit sie freikommt.
(...) Die jungen Schauspieler Caroline Erdmann, Marco Matthes und Benjamin Bieber schlüpfen mit viel Gespür in die verschiedenen Rollen und erzählen zum Ende auch ihre eigenen Grenzgeschichten. Sie fügten die einzelnen Mosaiksteinchen der Erzählungen gekonnt zu einem Stück zusammen und machten sich auf die Suche nach den Beweggründen für die geschichtlichen Veränderungen, die 1989 Volksmassen in Bewegung setzten. Das Rostocker Premierenpublikum bedankte sich mit viel Applaus."
(Lübecker Nachrichten, 05.10.2009)

"Die am Sonnabend präsentierte Produktion »Alles offen« des Volkstheaters Rostock, vom Berliner Theaterkollektiv »lunatiks« erarbeitet, kommt so spannend, frisch und heutig daher, dass sie aus der Masse vergleichbarer Projekte herausragt. Und sie bringt mit der durch den Autor und Regisseur Tobias Rausch textlich und szenisch sehr kunstvoll durchkomponierten Vielstimmigkeit von zuvor in 70 Interviews recherchierten Lebenserfahrungen ein derart komplexes Bild auf die Bühne, dass das Ganze dringend fürs nächste Berliner Theatertreffen zu empfehlen ist.
Vor allem aber sei diese Aufführung jedem Zuschauer hierzulande ans Herz gelegt, nicht nur wegen der geschickt zur Theater-Collage verarbeiteten Erinnerungen, sondern ebenso wegen der Art des Erinnerns selbst: Hier waltet eine Haltung des interessierten Fragens, des unvoreingenommenen Aufnehmens. Sie ist frei von ideologischen Klischees und wurde vom begeisterten Publikum wohl auch als befreiend empfunden. Bei seinem letzten Auftritt als Piet aus Lübeck zieht der Schauspieler Benjamin Bieber eine Art Resümee: »Das war ein Augenaufschlag lang,/in dem tatsächlich alles möglich schien./Wann gibt's schon sowas.« Wie er das sagt, wie die drei Akteuere Benjamin Bieber, Caroline Erdmann und Marco Matthes diesen Abend spielen - das vermittelt mit sehr kraftvollen Impulsen, dass der Titel »Alles offen« über den Rückblick hinaus uns Heutige meint: Von uns hängt es ab, wie offen alles ist.
Eröffnet wird das Spiel mit dem Mauerfall. Der wird zunächst in einer leicht grotesken Dia-Vorführ-Familienfeier ganz banal erinnert, dann aber aus vielen Perspektiven umkreist, wobei sich schnell psychologische und politische Tiefe entfaltet. Der Blick aus Lübeck-Schlutup gen Osten ist da sehr wirkungsvoll platziert, vom »Müllhaufen der Geschichte« führt ein genialer Gedankensprung zur Deponie Schönberg, auf der Westeuropas Sondermüll abgeworden wurde. (...)
Das Ganze ist dokumentarisch und dennoch Kunst, ist Theaterspiel mit einfachsten Mitteln, doch auf höchstem Niveau. Wie da in Michael Böhlers Ausstattung Umzugskartons und weiße Stoffbahnen in Zelte oder Requisiten verwandelt werden und wie die Akteure dieses minimalen Dreier-Teams in wechselnde Rollen springen, das führt nebenbei eine außerordentlich lebendige Theaterkultur vor. Bravo!"
(Ostsee-Zeitung, 05.10.2009)

"Verdient stürmisch durften sich Benjamin Bieber, Caroline Erdmann und Marco Matthes am Sonnabend imi Theater am Stadthafen nach dem Auftakt von »Alles offen« am Volkstheater Rostock feiern lassen. Tobias Rauschs knapp zweistündiges Dreipersonenstück ist eine gelungene Verwebung von Rostocker Biografien aus der Zeitenwende, in der die Schauspieler nicht allein von Geschichte zu Geschichte in neue Personen schlüpfen. Es entpuppt sich als wahres Fest für die Darsteller, verschiedenste Lebenslagen auf einer großzügigen und anfangs mit weißen Laken bedeckten Bühne auszuspielen. Das tun sie mit aller Hingabe.
Was spritzig als Dia-Abend unter Freunden daherkommt, entpuppt sich als ein knapp zweistündiger farben- und spannungsreicher Bogen mit einem Mikrofon, blauen Müllsäcken voller Konfetti, einer Videokamera und mal als Sofa, mal als Container oder Werkteil verwendete weiße Kartons. Aus den zwischen April und September diesen Jahres geführten Gesprächen mit etwa 70 Zeitzeugen aus der Hansestadt und der Umgebung und intensiven Recherchen entstand ein ausgewogener Teppich aus gelebten Biographien. (...) Mit »Alles offen« zeigt das Volkstheater Rostock in Kooperation mit dem Berliner Produktionskollektiv lunatiks eine eindrucksvolle Forschungsarbeit auf dem Feld der jüngsten Zeitgeschichte. Ausgewogen, krtisch und berührend anregend."
(Nordkurier, 05.10.2009)

"Am 3. Oktober hat im Rostocker Theater am Stadthafen das Stück »Alles offen« Premiere. Es geht zurück auf siebzig Zeitzeugeninterviews, die seit Frühjahr dieses Jahres von Lübeck bis Rostock geführt wurden. Leute aus Ost und West schildern darin, wie sie das Ende der DDR, die Demonstrationen und die Grenzöffnung erlebten und dann den ihnen unbekannten Teil Deutschlands kennenlernten.
Drei Schauspieler schlüpfen in die verschiedensten Rollen. Etwa in die einer Ärztin, die auf einer Dienstreise heimlich in den Westen fährt, sich ein Beate-Uhse-Geschäft anschaut und beim Hinausgehen von der »Tagesschau« gefilmt wird. Oder in die eines Kneipiers, der sein Gasthaus in Schlutup bei Lübeck unmittelbar vor der Grenze hatte, eines Lastwagenfahrers, der Müll aus dem Westen in die Deponie Schönberg brachte, einer FDJ-Funktionärin, die auf einmal die Bezirksleitung in Rostock abwickeln musste, oder in die eines Vaters, der seinen im Schlauchboot in den Westen geflohenen Sohn nach Jahren erst wiedersehen kann und sich nicht traut, an dessen Tür zu klingeln. Ganz am Schluss wird von einer Frau erzählt, die bis heute Angst bekommt, wenn sie das Klirren eines Schlüsselbundes hört, weil es sie an ihre Zeit im Gefängnis erinnert.
Die drei Schauspieler tragen festliche Kleidung und stoßen darauf an, dass alles so gekommen ist, wie es kam. Jene Zeit vor zwanzig Jahren erscheint heute wie in großes Fest. Damals schien alles offen. Es spielen Benjamin Bieber, Jahrgang 1981, Caroline Erdmann, mit sieben Jahren mit der Mutter über Ungarn in den Westen geflohen, und Marco Matthes, Jahrgang 1977. Sie waren damals noch zu klein, um sich genau zu erinnern.
Vor zwanzig Jahren gingen in Rostock Zehntausende auf die Straße. Heute sind die Ereignisse im Theater angekommen."
(Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.10.2009)

"Es ist ein ungewöhnliches Werk, weil Künstler aus den Erzählungen Rostocker und Lübecker Bürger über deren persönliche Geschichten der Zeitenwende aus den unterschiedlichsten emotional gefärbten Blickwinkeln nachempfindbar machen. (...) Schnell wird klar, dass es keineswegs um historische Rekonstruktion der Ereignisse geht, sondern um ein fesselndes Spektrum der Facetten jener Tage, das die verschiedensten Gefühlslagen der Menschen in beiden deutschen Staaten berücksichtigt. (...)
»Alles offen« wirkt wie ein großes Puzzle - von erschütternd bis amüsant. Das sorgt beim Publikum für viele Aha-Effekte. Den Schauspielern Bieber, Erdmann und Matthes gelingt es grandios, innerhalb weniger Augenblicke in Dutzende verschiedene Rollen zu schlüpfen und diese authentisch herüberzubringen."
(Norddeutsche Neueste Nachrichten, 05.10.2009)

"... ein lebendiger und berührender Stimmungsbericht, der nicht nur die ostdeutsche Sicht deutlich werden läßt."
(tv rostock, 02.10.2009)